Marga und ihr Weihnachtsengel
600 Weihnachtstüten, prall gefüllt mit Leckereien aller Art, und dazu 700 Gutscheine für Lebensmittel gehen in diesen Tagen in Stadt und Landkreis zu bedürftigen Menschen. „Da werden wieder Tränen fließen“, meint eine Helferin beim Einladen. Freudentränen.
Eine von den rund 700 Empfängerinnen der Tüten ist Marga W. aus Eckersdorf. Weil sie sich wegen ihrer Krebserkrankung und einem langen Krankenhausaufenthalt nicht rechtzeitig für die Aktion beim Paritätischen Wohlfahrtsverband hatte anmelden können, wäre sie in diesem Jahr leer ausgegangen. Doch Nicole Hahn, ihre Betreuerin, hakte bei der Kurier-Stiftung „Menschen in Not“ nach, ob vielleicht noch eine Lebensmitteltüte übrig sei. Keine Frage, die war noch übrig. Und weil schon alle Transporte und Lieferungen koordiniert waren, machte sich die Autorin und Vorsitzende der Stiftung selbst auf den Weg in den Wohnpark Fantaisie.
Jede Menge weihnachtliche Lichter strahlen aus den Fenstern in den u-förmig angelegten Gebäuden mit den kleinen Wohnungen. Vor dem Seniorenheim steht ein prächtiger Weihnachtsbaum und von drinnen hört man Weihnachtslieder. Gar nicht so einfach, die richtige Tür in der Reihe des betreuten Wohnens zu finden, vor allem, wenn es schon dämmert. Vor der kleinen Wohnung von Marga W. steht ein Rollator, rechts und links zieren Tannengestecke mit kleinen Engelsfiguren den Eingang. Klein, aber fein ist es innen. Liebevoll eingerichtet. Marga W. achtet pingelig auf Sauberkeit. „Ich sauge zwei bis dreimal in der Woche Staub“, sagt sie, und das, obwohl sie wegen ihrer Arthrose nur schlecht mit den Händen greifen kann.
Ihr Haar trägt sie – wie auch schon als junge Frau – lang. Damit kann sie auch gut kahle Stellen kaschieren, die nach der Chemotherapie geblieben sind. „Da wachsen auch keine Haare mehr“, sagt Marga W. Stolz zeigt sie auf die Fotos ihrer Lieben, die auf dem Schrank im Wohnzimmer stehen: „Mein Sohn, meine Tochter, mein Enkel.“ Sie sind im Bayerischen Wald daheim, doch Weihnachten werden sie die Mutter wieder besuchen kommen. „Und das,“ sagt sie und deutet auf ein weiteres Foto: „Das bin ich“. Ein hübsches junges Mädchen, adrett gekleidet, volle Lippen und strahlende Augen schauen einem entgegen. Auch heute noch achtet Marga W. sehr auf ihr Äußeres. Die Augenbrauenhärchen, die es nicht mehr gibt, werden nachgezogen, die Fingernägel sorgfältig lackiert. Sie lässt sich nicht unterkriegen von ihren Krankheiten. Welche das sind? Marga W. lacht und sagt: „Fragen Sie mich lieber, welche ich nicht habe.“ Etwa 22 Tabletten sind es, die sie täglich einnehmen muss.
Gemeinsam packen wir die Lebensmitteltüte aus, die sie zu Tränen rührt. Glückstee ist da drin, Mandelspekulatius, Lebkuchen. „Das hätte ich mir alles nie leisten können,“ sagt Marga W. leise. „Wollen Sie in meinen Kühlschrank schauen? Butter hab ich da drin und ein bisschen Käse. Und Brot ist da.“ Die Tränen fließen. Putenwurst kommt aus den Tiefen der roten Tüte zum Vorschein – „die mag ich am liebsten“ und dann noch Rindergulasch. „Das gibt es dann am ersten Weihnachtsfeiertag,“ beschließt Marga W. spontan. Und wieder muss sie weinen. Und, an mich gewandt: „Sie sind heute mein Weihnachtsengel.“ Und wieder fließen Tränen, nicht nur bei ihr. Den Weg zurück zum Auto – vorbei an unzähligen leuchtenden Sternen und Glitzerketten und dahinter unzähligen Menschen – gehe ich langsam. Nicht ohne vorher versprochen zu haben, bei Gelegenheit mal wieder vorbeizuschauen. Marga W. ruft mir noch nach: „Passen Sie auf sich auf.“ Mach ich. Dass es so einfach ist, ein Weihnachtsengel zu werden, hätte ich nicht gedacht.

