"Bankrotterklärung des Sozialstaates"

Von Gabi Schnetter

„Hartz IV ist keine Errungenschaft unseres Sozialstaates, sondern vielmehr seine Bankrotterklärung“, sagt Marion Hofmann. Seit 1991 leitet sie die Beratungsstelle für Arbeitslose in der Bürgerreuther Straße, ein ökumenisches Projekt. Und: „Arm trotz Arbeit ist für Millionen Menschen in Deutschland bittere Realität. Ich weiß, was Hartz IV angerichtet hat.“

Bis 2006 war das Büro in der Erlanger Straße untergebracht, danach gab es interne Umstrukturierungen. Marion Hofmann arbeitete in Kulmbach, dann bot sie Sprechstunden in den Räumen der Gewerkschaft Verdi an und seit 2014 stehen ihr gemütlich eingerichtete Räume im obersten Stock in der Bürgerreuther Straße 7a schräg gegenüber zum Caritas-Gebäude zur Verfügung. Es gibt auch eine kleine Teeküche und für die Gespräche kann man sich an einen Tisch setzen, der eher an einen gemütlichen Küchenplatz erinnert als an ein Büro. Zwei bis drei Beratungen sind es täglich, und es werden mehr, nachdem es – corona-bedingt – einen Einbruch gegeben hatte.

Nach der Einführung von Hartz IV habe sich in Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren in Europa entwickelt, erklärt Marion Hofmann. Somit sei es für viele unmöglich, einen existenzsichernden Job zu finden. Und: „Die sogenannte Grundsicherung reicht zum Existieren, nicht zum Leben und Teilhaben an der Gesellschaft.“

Marion Hofmann erklärt detailliert: „Wenn man einen PC mit Internetzugang haben möchte, muss das vom Regelsatz bezahlt werden. Ein Smartphone ist für Menschen mit wenig Geld keine Selbstverständlichkeit, wird aber inzwischen als selbstverständlich vorausgesetzt.“ Auch im Hinblick auf Online-Zugänge, wie sie Ämter und Behörden in Corona-Zeiten anbieten, seien diejenigen, die sich das nicht leisten können, völlig aufgeschmissen. „Blöd nur, wenn die Waschmaschine oder der Kühlschrank kaputtgehen. Das soll dann aus dem Regelsatz angespart werden. Eine einmalige Beihilfe gibt es nur auf Antrag und als Darlehen, das dann jeden Monat mit zehn Prozent vom Regelsatz abgezogen wird,“ so Hofmann. Kein Wunder, dass es bei einem Großteil der Unterstützungsanträge, die bei der Kurier-Stiftung Menschen in Not eingereicht werden, um genau diese Alltagsgeräte geht. Den Familien ist es oft einfach unmöglich, die Kosten dafür zu bewältigen.  

Gespart werde in den meisten Fällen am Essen. Dafür seien derzeit 5,16 Euro pro Tag für einen Erwachsenen vorgesehen. Der Regelsatz für einen Erwachsenen liegt bei 446 Euro, für ein Kind bei 309 Euro (um einen Euro erhöht seit 2020). Davon werde allerdings Kindergeld abgezogen, und auch eventuell geleisteter Unterhalt. Der Empfang von Hartz IV und Wohngeld schließen einander aus. Oft könnte dann Kinderwohngeld beantragt werden, „aber das muss man erst einmal wissen,“ meint Marion Hofmann. „Die Gesetzgebung ist derartig undurchsichtig, und das liegt nicht am Job-Center, die setzen auch nur ihre Vorgaben um.“ Und so vieles sei nicht bekannt. Sie nennt als Beispiel das Bildungspaket. „Nur die Hälfte der Berechtigten etwa nimmt das in Anspruch.“ Weil viele Familien fürchten, sich dann mit ihrer Notsituation zu offenbaren.          

„Ich erlebe es immer wieder bei meinen Beratungen, dass es Menschen trotz großer Notlagen ablehnen, Hartz IV zu beantragen, mit der Begründung: Da muss ich mich ja nackig machen.“ Alle Möglichkeiten, den Leistungsbezug zu verringern, würden ausgenutzt, sagt Hofmann. Und für viele seien die Behördenschreiben, die sie erhalten, ein Buch mit sieben Siegeln. So erhalte der Betroffene etwa nur einen kurzen Hinweis, dass die Krankenversicherung jetzt wegfalle. Erst beim nächsten Gang zum Arzt fällt auf, dass sie nicht mehr krankenversichert sind. Auch ohne Sprachbarrieren sei das alles nur schwer verständlich.

Wenn beispielsweise ein Eigenheim noch nicht abbezahlt ist, werden nur Zinsen als Belastung anerkannt, nicht die Tilgung. Und die Banken seien dann schnell am Zug mit der Zwangsversteigerung.

Worüber sich Hofmann besonders ärgert: „Oft gibt es in der Bevölkerung immer noch das Klischee vom Hartz IV-Empfänger, der vor der Norma sitzt mit der Bierdose in der Hand. Aber das stimmt nicht. Das sind heute ganz normale Menschen, deren Betrieb geschlossen hat, denen gekündigt wurde oder die krank wurden.“ Oft fehle es im Vorfeld bereits an der vernünftigen Aufklärung. „Da hat sich vom Klima her viel verändert,“ klagt Hofmann. „Ich habe das früher anders erlebt. Viele Menschen fühlen sich allein gelassen.“ Ihre Forderung: Das entwürdigende Gerenne von Amt zu Amt müsse endlich aufhören.

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